Vor dem Riesenpech: Wie Wittmann überhaupt in Führung gehen konnte

Marco Wittmann ging vor seinem unglücklichen Aus sensationell in der Full-Course-Yellow an die Spitze - Wie passieren konnte, was man eigentlich vermeiden wollte

(Motorsport-Total.com) - Bevor Marco Wittmann vom Pech verfolgt wurde, gelang Schubert Motorsport beim DTM-Saisonauftakt in Oschersleben ein Geniestreich beim Boxenstopp - und zwar ein geplanter. "Letztlich war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir wollten von Anfang an lange fahren und auf eine Safety-Car-Phase oder Full-Course-Yellow hoffen", sagt er gegenüber ran.

Titel-Bild zur News: Und plötzlich lag "The Green Machine" vorne: Marco Wittmann profitierte von der FCY

Und plötzlich lag "The Green Machine" vorne: Marco Wittmann profitierte von der FCY Zoom

Wie es dazu kommen konnte? Gerade Renndirektor Sven Stoppe achtet bei seinen Eingriffen sehr darauf, niemanden zu bevorzugen. Warum kam es diesmal trotzdem zu einer Wettbewerbsverzerrung, die eigentlich vermieden werden soll?

Ironie des Schicksals: Wittmann kam genau deshalb nach vorne, weil Stoppe ursprünglich laufen lassen wollte. Denn weder der gestrandete Dörr-McLaren noch das Rad stellten eine akute Gefahr dar. Zumindest dachte Stoppe das, denn die Fahrer waren über Funk über das Rad informiert und es war - zumindest bei freier Fahrt - auch vom Cockpit aus gut zu sehen.

Die Situation änderte sich jedoch sehr rapide, als die Fahrer plötzlich sehr dicht am Rad vorbeifuhren - dichter als erwartet. Da das Rad auf der Lauffläche und nicht auf der Felge stand, befürchtete die Rennleitung nun, dass der Sog der Fahrzeuge das Rad wieder in Bewegung setzen könnte - auf der im letzten Drittel abschüssigen Start-Ziel-Geraden.

In einem Statement, das Motorsport-Total.com bei der DTM angefragt hat, heißt es: "Das Rad auf der Start-Ziel-Geraden musste schnellstmöglich beseitigt werden, da die Rennleitung nicht sicher sein konnte, dass alle Fahrer über die Gefahrenstelle informiert waren. Außerdem hätte das Rad aufgrund von Fahrzeugen, die sehr dicht daran vorbeigefahren sind, jederzeit weiterrollen können."

"Dass zufällig Wittmann so nah an der Boxeneinfahrt war, dass er regelkonform einen Boxenstopp machen konnte, hat bei der Entscheidung keine Rolle gespielt. Wir konnten aus Sicherheitsgründen nicht länger warten."


Fotos: DTM 2024: Saisonauftakt in Oschersleben , Samstag


Sven Stoppe sah hinter einer Gruppe von acht Fahrzeugen eine Lücke. In diesem Fall wird dem Rennleiter jedoch nicht angezeigt, wer bereits gestoppt hat und wer noch nicht. Insofern war nicht erkennbar, dass Wittmann noch nicht gestoppt hatte. Da er vor dem Stopp auf P16 lag, war er auch sehr unauffällig.

Auf jeden Fall musste der FCY schnell geschaltet werden. Eine FCY wird immer angekündigt. In diesem Fall entschied sich Stoppe für die kurze Ankündigungszeit von zehn Sekunden. Anders als zum Beispiel in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) wird die Boxengasse jedoch nicht sofort geschlossen, wenn die FCY angekündigt wird. Sie schließt erst, wenn die FCY tatsächlich begonnen hat.

Und genau in diesem 10-Sekunden-Fenster gelang es Wittmann, noch in die Boxengasse zu schlüpfen. Es war das ideale Szenario. Kaum war er drin, wurde die FCY aktiv und alle anderen Autos mussten auf 80 km/h abbremsen. Das Antizipieren einer FCY ist die allerletzte Möglichkeit, mit der in der DTM eine Neutralisation noch zum eigenen Vorteil genutzt werden kann.

Neutralisationen sportlich bereits fairer als früher

Es hat sich schon viel getan. Jahrelang war die DTM künstlichen Eingriffen durch das Safety-Car ausgesetzt. Es wurde toleriert, teilweise sogar begrüßt, weil es für Unberechenbarkeit sorgte.

Unvergessen sind zum Beispiel die Jahre, in denen man eigentlich bei der erstbesten Gelegenheit zum Pflichtstopp rein musste, weil man im Falle eines Safety-Cars sonst warten musste, bis sich das gesamte Feld hinter dem Führungsfahrzeug versammelt hatte, bevor die Boxen geöffnet wurden. Das führte immer wieder dazu, dass die Führenden weit hinte rdie Fahrzeuge zurückfielen, die bereits früh gestoppt hatten.

Seitdem hat sich viel getan, unter anderem führte Stoppe zunächst im ADAC GT Masters die Full-Course-Yellow während des Boxenstoppfensters ein. Das wurde dann auch in der DTM übernommen. Viele denkbare Schlupflöcher wurden geschlossen, unter anderem die Möglichkeit, den Stopp unter FCY zu absolvieren.


DTM-Auftakt Oschersleben 2024: Riesenpech für Wittmann!

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Dass Wittmann die Führung übernehmen konnte, war also einer Verkettung unglücklicher Umstände in Kombination mit einem kleinen Schlupfloch im Reglement zu verdanken. Es ist davon auszugehen, dass Stoppe den Vorfall bis ins kleinste Detail analysieren wird, denn genau ein solches Szenario will er eigentlich verhindern.

Stoppe entschuldigt sich für SC-Einsatz

Während der Sprung von Wittmann nach vorne also auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist, war der anschließende Safety-Car-Einsatz ein Fehler von Sven Stoppe. Denn er hatte angekündigt, nach einer FCY auf einen SC-Einsatz verzichten zu wollen.

Das Safety-Car durchkreuzte die Strategie von Maximilian Paul, dessen Paul-Motorsport-Lamborghini die Chance auf eine Sensation bereits verpasst hatte, denn er war gerade am Boxeneingang vorbeigefahren, als die Ansage "FCY in zehn Sekunden" ertönte. "Unsere Strategie war, noch eine Runde zu fahren", erklärt Paul gegenüber Motorsport-Total.com.

Allerdings hätte man die FCY auch ohne die Ansage antizipieren können, doch beim DTM-Neuling gab es ein Problem mit dem Funk. Damit hatte Paul Motorsport die Chance auf den nächsten Sensationssieg nach dem Nürburgring 2023 verpasst. "Verloren war aber noch nichts", sagt Paul. " Aber das Safety-Car hat unsere Strategie dann vollkommen durchkreuzt."

Grund für den SC-Einsatz war die Befürchtung, dass die Reifen zu stark abgekühlt sein könnten. Aus diesem Grund wird bei der GT-World-Challenge (GTWC) Europe grundsätzlich nach einer FCY ein Safety-Car eingesetzt, damit die Fahrer ihre Reifen wieder aufwärmen können. Andererseits gehen die Fahrer nach dem Boxenstopp mit komplett kalten Reifen auf die Strecke.

Stoppe versicherte, dies in Zukunft nicht mehr so zu handhaben und das Rennen sofort wieder freigeben zu wollen. Diese Ankündigung kam bei den Teamchefs gut an. Stoppe genießt im Fahrerlager hohes Ansehen und wird von Fahrern und Teamchefs sehr geschätzt.

Das sagen die Fahrer

Wittmann sieht sein Glückskarma derzeit nicht ausgeglichen: "Das Pech [mit der Roten Flagge], das ich im Qualifying hatte, hatte ich im Glück bei der Strategie. Aber dann kam das Pech zurück. Das ist unglaublich." Er schied kurz vor Schluss mit Benzinmangel aus.

"Ich hielt es für einen Scherz. Ich habe gefragt, ob sie Witze machen." Jack Aitken

Jack Aitken gibt zu, dass er zunächst glaubte, seine Boxencrew wolle sich einen Scherz mit ihm erlauben: "Als sie mir sagten, was mit Marco Sache war, konnte ich das nicht glauben. Ich hielt es für einen Scherz. Ich hatte ihn vorher nicht einmal auf dem Schirm."

"Ich habe gefragt, ob sie Witze machen, aber dann war es ein kleiner Schock. Ich habe versucht, gedanklich den Schalter umzulegen, ob ich beim Restart etwas gegen ihn ausrichten kann. Aber er hatte einen guten Rhythmus und machte keine Fehler. Es tut mir leid, was ihm dann passiert ist."

Auch Ricardo Feller, der durch Wittmanns Ausfall schließlich auf Rang drei aufrückte, konnte es kaum fassen, dass er nun gegen den grünen BMW kämpfen musste: "Ich habe es gar nicht verstanden. Ich dachte, da muss ein Fehler passiert sein."

"Aber dann haben sie mir gesagt, dass er in der Box war, als die FCY rauskam. Da war klar, dass alles legal und korrekt war. Ich war ehrlich gesagt überrascht von seinem Tempo an der Spitze. Wir hätten keine Chance gehabt, ihn einzufangen. Dann war es unser Glück, dass er das Problem hatte."

Dörr Motorsport, Auslöser der FCY, kam übrigens ohne Strafe davon, weil nach einer Runde auf dem Reifen nicht mehr geklärt werden konnte, ob es sich um einen Fehler des Teams oder einen technischen Defekt handelte.

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